Abstract
Die mediale Durchdringung des Alltags ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass technisch vermittelte Kommunikationsformen häufig einen weit größeren Raum einzunehmen scheinen als die Face-to-Face-Kommunikation. Handyanrufe, SMS, Email und soziale Netzwerkplattformen prägen längst die alltägliche Kommunikationspraxis. Angesichts der zunehmenden Zahl von Situationen, in denen das Handy oder andere Kommunikationstechnologien selbst dann zum Einsatz kommen, wenn die Alternative einer Kommunikation von Angesicht zu Angesicht besteht, mag es verwundern, dass der Interaktion unter Anwesenden in den Diskussionen um die sozialen Auswirkungen technologischer Wandlungsprozesse bis heute solch ein exponierter Status verliehen wird. In den soziologischen und kommunika-tionslinguistischen, aber auch in vielen medien-wissenschaftlichen Arbeiten schreibt sich eine Sicht fort, die die Face-to-Face-Interaktion als den Nukleus des Sozialen betrachtet. Ungeachtet aller Foucault’schen Kritik an Ursprungsnarrativen hält sich hartnäckig die Auffassung, dass die Interaktion im Raum wechselseitiger Wahrnehmung als evolutiv primäre Sozialform den Archetypus und Normalfall menschlicher Kommunikation bildet. Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht erscheint als die ‚natürliche‘ Form sozialer Interaktion. Als solche bildet sie den Ausgangspunkt und die Vergleichsfolie aller technisch mediierten Kommunikationsformen, die dann häufig als Abweichungen von dem vermeintlichen Normalzustand beschrieben werden. Pointiert kommt dies etwa bei Alfred Schütz und Thomas Luckmann zum Ausdruck, wenn sie „unmittelbares wechselseitiges Handeln“ als „Grundform allen sozialen Handelns“ definieren und hinzufügen, dass „man die anderen Formen als Ableitungen von dieser Grundform verstehen kann“ (Schütz/Luckmann 1984: 104).
Durch die intensive Nutzung mobiler Kommunikationstechnologien wird jedoch nicht nur dieses Primat der Face-to-Face-Interaktion, sondern zugleich auch die damit verbundene Dominanz eines physisch definierten Präsenz-Konzeptes in Frage gestellt, das Ko-Präsenz über einen primär visuell erfahrenen Raum wechselseitiger Wahr-nehmung definiert. Mit der durch die mobilen Technologien geschaffenen Möglichkeit einer ständigen Konnektivität entstehen verstärkt hybride Formen einer medial generierten Anwesenheit, in denen Präsenz nicht über die gemeinsame physisch-räumliche Verortung, sondern über wechselseitige kommunikative Erreichbarkeit oder die Ko-Lokalisierung im virtuellen Raum erzeugt wird. Unter Rückgriff auf sozioempirische Studien zu den Aneignungspraxen mobiler und webbasierter Technologien geht der Beitrag der Frage nach, wie sich durch die mobilen Medien nicht nur die Form der Interaktion, sondern auch das Verhältnis von kommunikativer Präsenz und räumlicher Situierung verändert. Welche kommunikative Funktion kommt der physi-schen Ko-Präsenz in der Face-to-Face-Kommunikation zu und in welcher Weise lässt sich Präsenz für die Interaktanden auch über mobile und netzbasierte Medien herstellen?
Original language | English |
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Journal | MuK Massenmedien und Kommunikation |
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Issue number | 0 |
Publication status | Published - 2011 |